Malawi — entwicklungspolitisches Musterland oder Polizeistaat? Die Urteile über die malawische Entwicklung gehen weit auseinander. Die einen sehen es, gerade auch im Vergleich mit seinen ‘sozialistischen’ Nachbarn Sambia, Tansania und Mosambik, als Beispiel für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik unter kapitalistischem Vorzeichen, als eine afrikanische Schweiz: klein, schön, kapitalistisch und konservativ. Immerhin verzeich- nete Malawi nach seiner Unabhängigkeit ein beachtliches wirtschaftliches Wachstum (zwischen 1968 und 77 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich um real 6%). Vorrangig war die Entwicklung der Landwirtschaft. Malawi produziert genug Nahrungsmittel, um seine schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren — zumindest scheint es so — und kennt keine Verstädterungs- und Verslumungsprobleme wie die meisten anderen afrikanischen Länder. Malawi also als Vorreiter der Vorschläge der Nord-Süd-Kommission: Entwicklung der Landwirtschaft und Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln?
Die anderen verweisen auf die diktatorische Herrschaft des Präsidenten Banda, der sein Volk mit eiserner Faust regiert und mit Unterstützung des Westens und in engem Bündnis mit Südafrika sein Land zum Spielball neokolonialer Ausbeutungsinteressen macht.
Präsident Banda sagt: »Unsere Unabhängigkeit wäre bedeutungslos, wenn ihr, mein Volk, unglücklich sein würdet. Und um in diesem Land glücklich zu sein, braucht mein Volk bestimmte, einfache, grundlegende Dinge. Und diese einfachen grundlegenden Dinge sind Nahrung, Kleidung und eine Behausung.«1 [für Anmerkungen siehe den entsprechenden Reiter in der Seitenleiste] Er sagt aber auch: »Ich bin der Boss, und wer immer das ignoriert, ist dumm. Ich entscheide alles, ohne irgend jemanden um Rat zu fragen; und das ist, wie die Dinge in Malawi liegen.«2
Ein wohlmeinender Diktator, der sein Volk, wenn auch mit eiserner Faust, zu Glück und Wohlstand führt? Eine »autoritäre Grundbedürfnisstrategie«3, mit der der Weg aus sozio- ökonomischer Unterentwicklung und Armut zur Hälfte schon bestritten ist? Gar eine Entwicklungspolitik, die unbewußt von der marxistischen Grunderkenntnis geleitet ist, »daß die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. betreiben können«4?
Selbst Malawis Nachbarn, die es sonst wegen seiner guten Beziehungen zu Südafrika und der Unterdrückung jeglicher politischer Opposition kritisieren, scheinen sich für Malawis Entwicklungserfolg zu interessieren und von ihm lernen zu wollen. So kam z.B. Ende 1981 eine Regierungsdelegation aus Zimbabwe, geführt von den Ministern für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, um von »Malawis langen Erfahrungen im Bereich des Tabakanbaus und der Durchführung ländlicher Entwicklungsprojekte«5 zu lernen. Das junge Zimbabwe will vom kapitalistischen Nachbarn für den Aufbau seiner sozialistischen Gesellschaft lernen?
Es soll hier versucht werden, diese an der Oberfläche erscheinenden Widersprüche in einer Untersuchung einiger wichtiger Aspekte der malawischen Entwicklungspolitik nach seiner Unabhängigkeit aufzuklären. Wird in Malawi wirklich eine grundbedürfnisorientierte Politik betrieben? Oder anders gefragt: warum muß eine grundbedürfnisorientierte, d.h. eine der Bevölkerungsmehrheit zugute kommende Politik, sofern es sie gibt, mit diktatorischen Mitteln durchgesetzt werden? In der bisherigen Literatur über Malawi wird interessanterweise diese Frage nicht behandelt6. Der Schlüssel zu dieser Frage liegt in den be sonderen Bedingungen und Implikationen der Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in Malawi.
Malawi war zur Zeit seiner Unabhängigkeit, 1964, und ist auch heute noch, ein Agrarland. 90% der etwa 60 Millionen Einwohner leben auf dem Lande und sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Mangel an ökonomisch verwertbaren Bodenschätzen macht den landwirtschaftlich nutzbaren Boden zur wichtigsten Ressource des Landes. Die nur wenig entwickelte städtische Industrie ist strukturell von der Landwirtschaft abhängig bzw. produziert einfache Konsumgüter für den begrenzten inneren Markt. Zum überwiegenden Teil, sowohl bezogen auf die Beschäftigung wie auf die Produktion, ist die Landwirtschaft von der häuslichen Produktionsweise, d.h. Resten der traditionellen Subsistenzwirtschaft geprägt.
Entwicklungspolitik in Malawi mußte deshalb in der Landwirtschaft ansetzen. Sie tat dies, orientiert auf den Export, in zweierlei Richtungen. Auf der einen Seite versuchte sie, den häuslichen (kleinbäuerlichen) Sektor zu kommerzialisieren, d.h. ihn von der Subsistenzproduktion zur Produktion eines Mehrprodukt für den Markt zu entwickeln. Auf der anderen Seite wurde die in der Kolonialzeit begonnene Politik zur Entwicklung einer auf kapitalistsicher Basis funktionierenden Plantagenwirtschaft fortgesetzt und insbesondere in den siebziger Jahren stark forciert.
Diese zweigleisige Politik erschien an der Oberfläche zunächst pragmatisch und rational. Die genauere Analyse der ökonomischen Beziehungen zwischen dem kleinbäuerlichen und dem kapitalistischen Sektor der Landwirtschaft zeigt jedoch, daß sich hier brisante ökonomische und politische Widersprüche verbergen, die inzwischen, wenn auch in sehr vermittelter Form, auch offen als Widersprüche in der politischen Führung Malawis auftauchen. Diese Arbeit konzentriert sich deshalb auf die Untersuchung der besonderen Beziehungen zwischen den Sektoren der Landwirtschaft und ihrer ökonomischen und politischen Implikationen.
Bedingungen für die Entwicklungspolitik Malawis werden aber auch von den Außenwirtschaftsbeziehungen und seiner besonderen Stellung im Südlichen Afrika gesetzt. Malawis Ökonomie ist in hohem Maße vom Export nur weniger landwirtschaftlicher Produkte (Tabak, Zucker, Tee, Baumwolle und Erdnüsse) abhängig, wobei Tabak allein fast 50% der Devisen einbringt. Wirtschaft und Staatshaushalt sind damit den Zufälligkeiten der Preisentwicklung dieser Produkte auf dem Weltmarkt ausgeliefert.
Der Investitionshaushalt Malawis wird zu 85% durch Mittel der ausländischen Entwicklungshilfe, hauptsächlich in Form von Zuschüssen, finanziert. Hauptgeber sind die Weltbank, die Europäische Gemeinschaft, die Bundesrepublik und Großbritannien. Zur strukturellen Abhängigkeit kommt in Malawi also eine besonders starke direkte Abhängigkeit von den westlichen Industrienationen, die sich z.B. in dem relativ großen Einfluß der Weltbank auf seine Entwicklungspolitik zeigt.
Malawi befindet sich, bedingt durch seine geografische Lage im Südlichen Afrika und seine ökonomische Struktur, im unmittelbaren regionalen Einflußbereich Südafrikas. Durch ein entwickeltes System der Wanderarbeit, intensive Handelsbeziehungen und Transportwege ist Malawi in starkem Maße von Südafrika abhängig.
Im Gegensatz zu den anderen unabhängigen Staaten im Südlichen Afrika hat Malawi nicht versucht, diese Abhängigkeit zu reduzieren, sondern hat ganz im Gegenteil die Beziehungen zu Südafrika ausgebaut und unterhält heute als einziges Land Schwarzafrikas diplomatische Beziehungen zum Apartheidregime in Pretoria.
Malawis besondere Rolle im Südlichen Afrika und ihre jüngste Veränderung im Kontext der »Konferenz zur Koordinierung der Entwicklung im Südlichen Afrika« (SADCC) wird vor dem Hintergrund der innenpolitischen Widersprüche am Ende der Arbeit beleuchtet.
Typische malawische Dorfansicht mit grasgedeckten Lehmhütten, um 1978