Die Entwicklung der Landwirtschaft in der Kolonialzeit
Nachdem David Livingstone 1859 auf seinen Entdeckungsreisen ins Innere Zentralafrikas das Shire-Hochland und den Njassasee entdeckt hatte, folgten bald die ersten Missionare, Händler und Siedler7. 1981 wurde Njassaland britisches Protektorat unter dem Namen ‘British Central Africa Protectorate’.
Die wirtschaftliche Entwicklung Njassalands während der Kolonialzeit ist durch drei Aspekte bestimmt:
- die Plantagen der europäischen Siedler
- den Anbau von Verkaufsfrüchten (‘cash crops’) durch die afrikanischen Kleinbauern und
- die Wanderarbeit der Malawier nach Südrhodesien, Südafrika und Sambia.
Die europäische Plantagenwirtschaft entwickelte sich zunächst sehr schnell dank der Förderung durch die koloniale Administration, die die Aneignung von Land durch die Europäer erleichterte und die Afrikaner mit der Erhebung einer Hüttensteuer zwang, sich als Lohnarbeiter auf den Plantagen zu verdingen. Um die Jahrhundertwende war der Produktionswert der Plantagen, die damals in erster Linie Kaffee, Baumwolle und Tabak produzierten, sogar größer als bei den Plantagen in Kenia oder Südrhodesien. Das starke Wachstum des Plantagensektors kam jedoch 1902 nach einem Verfall der Kaffeepreise zu einem Ende. 8
Die Kolonialverwaltung erkannte außerdem, daß »Njassaland sich aufgrund einer kleinräumigen natürlichen Differenzierung und hohen Bevölkerungsdichten in Teilräumen weniger für eine Besiedlung durch europäische Siedler eignete«9. In Njassaland wurden daher nur relativ kleine Gebiete, etwa 5% der Landfläche, noch ‘naturgemäß’ der wertvollste Teil, vorallem im Shire-Hochland, in den heutigen Distrikten Thyolo und Mulanje, von europäischen Farmern besiedelt.
In derzeit des Aufschwungs der Plantagenwirtschaft duldete die Kolonialverwaltung die Produktion von Verkaufsfrüchten durch die malawischen Kleinbauern nur soweit, wie keine direkte Konkurrenz zu den englischen Siedlern entstand. Als jedoch 1902 und später beim Verfall der Baumwoll- und Kaffeepreise die lneffizienz der Großplantagenwirtschaft immer deutlicher wurde, förderte sie gezielt die kleinbäuerliche Warenproduktion.
Die Kleinbauern wurden so zu den wichtigsten Produzenten von Verkaufsfrüchten für den Export: 1928 produzierten sie 93% der Baumwolle, 1929 63% des Tabaks.
Bezogen auf alle Cash crops (Tee, Zucker, Tabak, Erdnüsse, Baumwolle, Reis und Mais) produzierten die Kleinbauern zurZeit der Unabhängigkeit (1964) wertmäßig mehr als die Großplantagen (K 9,95 Mio gegenüber 8,31 Mio). Dies ist nicht nur im Vergleich zur heutigen Situation interessant, die durch die enorm gewachsene Bedeutung des Plantagensektors gekennzeichnet ist (zwei Drittel der landwirtschaftlichen Exportproduktion wurden 1980 auf den Plantagen produziert), sondern auch hinsichtlich der englischen Kolonialpolitik in Njassaland, der die Extraktion landwirtschaftlicher Rohstoffe wichtiger war als die Expansion der Plantagenwirtschaft durch die Siedler.
Der dritte Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung des kolonialen Njassalands ist die Wanderarbeit der Malawier nach Südrhodesien, Südafrika und Sambia. Neben dem Anbau von Verkaufsprodukten und der Verdingung als Lohnarbeiter auf den Plantagen war die Wanderarbeit eine wesentliche Alternative für viele Malawier, ihrer Steuerverpflichtung gegenüber der kolonialen Verwaltung nachzukommen. Gerade die infrastrukturell unterentwickelte Nordregion Njassalands, der sog. ‘tote Norden’, bot weder Möglichkeiten für eine kleinbäuerliche Warenproduktion noch für Lohnarbeit auf Plantagen. Aus der Nordregion wanderten daher besonders viele Männer im arbeitsfähigen Alter ab (in manchen Distrikten der Nordregion waren z.T. über die Hälfte der arbeitsfähigen Männer als Wanderarbeiter im Ausland, vgl. E. Volhard 1951, S. 1.083).
Tabelle 1 zeigt die geschätzte Zahl malawischer Wanderarbeiter im Südlichen Afrika 1897- 1972.
Tabelle 1
Geschätzte Zahl malawischer Wanderarbeiter im Südlichen Afrika, 1897 –1972
1897 | 200 | 1931 | 50.000 | 1947 | 143.000 | 1956 | 141.900 |
1899 | 2.000 | 1935 | 90.000 | 1948 | 140.000 | 1957 | 147.000 |
1903 | 6.936 | 1938 | 113.500 | 1949 | 146.000 | 1958 | 169.000 |
1904 | 16.193 | 1939 | 112.800 | 1950 | 143.000 | 1959 | 163.500 |
1905- | 10.714 | 1940 | 115.765 | 1951 | 148.000 | 1960 | 159.500 |
1906 | 14.000 | 1941 | 120.000 | 1952- | 150.000 | 1961 | 165.860 |
1907 | 21.000 | 1942 | 121.000 | 1953 | 159.000 | 1966 | 266.000 |
1911 | 25.000 | 1945- | 138.982 | 1954 | 160.000 | 1967 | 280.000 |
1924 | 30.000 | 1946- | 121.760 | 1955 | 160.000 | 1972 | 487.932 |
Quelle: Boeder 1974, S. 289
Die tatsächliche Bedeutung der Wanderarbeit für die wirtschaftliche Entwicklung Malawis zeigt sich im Vergleich mit der Zahl der im Lande beschäftigten Lohn- und Gehaltsempfänger. Im Jahre 1966 standen 266 000 Wanderarbeitern 122 400 ganzjährig und 103 700 saisonal Beschäftigte gegenüber10.
Das System der Wanderarbeit hat die ökonomische Entwicklung Malawis in mehrfacher Weise behindert. Die Abwesenheit der Männer im arbeitsfähigen Alter erhöht das Subsistenzrisiko der zurückbleibenden Familie, weil wichtige Arbeiten im Anbauzyklus nicht mehr rechtzeitig oder ausreichend durchgeführt werden können. Der Großteil des durch Wanderarbeit verdienten Geldes wird rein konsumtiv, d.h. nicht zur Erhöhung der Produktivität der heimischen Landwirtschaft verwandt. Das Fehlen jeder sozialen Sicherheit in den Zielländern macht die rückkehrenden Wanderarbeiter zu heftigsten Vertretern der traditionellen Normen, die ihnen eine rasche Reintegration zu Hause garantieren11.
Verkaufsfrüchteproduktion der Kleinbauern, Lohnarbeit auf den Großplantagen der Siedler und Wanderarbeit stehen in einem konkurrierenden Wechselverhältnis zueinander. So hatte die Plantagenwirtschaft immer wieder Schwierigkeiten, eine ausreichende Zahl billiger Arbeitskräfte anzuwerben, die entweder in der eigenen Warenproduktion oder in der Wanderarbeit attraktivere Alternativen hatten. Die Siedler übten daher ständig Druck auf die Kolonialverwaltung aus, durch steuerliche Regelungen bzw. eine Kontrolle der Wanderarbeit Abhilfe zu schaffen. Die britische Kolonialmacht profitierte jedoch vom System der Wanderarbeit im Südlichen Afrika in doppelter Weise: einmal durch die Ausbeutung billiger Wanderarbeitskraft durch britisches Kapital in Südrhodesien und Südafrika und zweitens durch die Haushaltseinkünfte aus den Überweisungen der Wanderarbeiter.
Eine ausreichende Versorgung der Plantagenwirtschaft mit Arbeitskräften wurde daher nicht durch eine Begrenzung der Wanderarbeit, sondern durch ein Landnutzungssystem sichergestellt, bei dem die Bauern, die in den von den Siedlern in Besitz genommenen Gebieten lebten, ihre Arbeitskraft an die Plantagenbesitzer verkaufen mußten als ‘Gegenleistung’ für das Recht, ein Stück Land zu nutzen. Dieses Landnutzungssystem ist unter dem Begriff ‘thangata’ bekannt12.
Das Thangata-System, das die Bauern ihrer traditionellen Landrechte beraubte, führte zu Unruhen auf den Plantagen und in den betroffenen Dörfern des Shire-Hochlandes. 1915 organisierte der Prediger John Chilembwe einen Aufstand gegen die Siedlerherrschaft. Bei einem Angriff auf die Magomero-Plantage wurden drei europäische Männer getötet. Auch die Hauptgeschäftsstelle der African Lakes Corporation, der privaten Handels- und Entwicklungsgesellschaft, dem Vorläufer der Kolonialverwaltung, in Blantyre war das Ziel eines Angriffs. Der Aufstand dauerte 12 Tage. »Der Gegenstoß der Europäer erfolgte schnell und gründlich. Gefangene Aufrührer wurden summarisch abgeurteilt und einige von ihnen erschossen.«13
In den Auseinandersetzungen der Landarbeiter und Bauern mit dem thangata-System und den Arbeitsbedingungen auf den Plantagen entstand ein wesentlicher Teil der politischen Basis für den Kampf des Njassaland African Congess (NAC) gegen die Föderation von Rhodesien und Njassaland in den fünfziger Jahren14.