Was an der Oberfläche aussieht wie ein an den Grundbedürfnissen einer mehrheitlich kleinbäuerlichen Bevölkerung und an der Selbstversorgung des Landes mit Nahrungsmitteln ausgerichtetes Entwicklungsmodell, ist in Wirklichkeit der Versuch einer weltmarktabhängigen Entwickung; die Ressourcen des ländlichen Raumes werden mit Hilfe von Landwirtschaftsprojekten mobilisiert mit dem Zweck, sie in Akkumulationsmittel für Großplantagen und Industriebetriebe in den Händen ausländischer Unternehmen und einer kleinen malawischen Elite zu verwandeln. Die dem ‚Modell‘ zugrundeliegende Logik, eine beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen, indem die knappen Ressourcen gezielt den produktivsten Wirtschaftssektoren zugeführt werden, erscheint, wenigstens im kapitalistischen Sinne, dabei durchaus rational. Doch es hat sich gezeigt, daß dieses ‚Modell‘ nicht nur an den vom Weltmarkt gesetzten einschnürenden Bedingungen scheitert, sondern vor allem an seinen immanenten ökonomischen und sozialen Widersprüchen. Diese Widersprüche untergraben einerseits die materiellen Grundlagen des Modells, indem sie u.a. die Reproduktionsbedingungen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tendenziell zerstören, und führen andererseits zu einer Krise des autokratisch-zentralistischen Herrschaftsapparates, dessen politische Basis durch eine erschütterte Loylität der Massen und eine wachsende Konkurrenz zwischen rivalisierenden Fraktionen der Elite gefährdet wird.
Die Zuspitzung der sozio-ökonomischen Widersprüche
Der zentrale Widerspruch des malawischen Entwicklungsmodells ist die wachsende Kluft zwischen der kleinen Gruppe malawischer Großkapitalisten mit dem Präsidenten als ihrem herausragendsten Exponenten und der Masseder kleinen Bauern und einer kleinen, jedoch wachsenden Klasse von Landarbeitern. Während erstere ihre politische Macht nutzt, die kargen ökonomischen Ressourcen zu Quellen privatkapitalistischer Akkumulation zu machen, muß sich die Mehrheit der Bauern- und Landarbeiterfamilien mit stagnierenden oder sogar sinkenden Realeinkommen abfinden.
Die ungleiche Verteilung der ökonomischen Ressourcen führt zur Monopolisierung der fortgeschrittensten Produktionsmittel in den Händen der Agrarbourgeoisie, während die Produktion von Subsistenz- und Cash-crop-Produkten durch die Kleinbauern auf nedrigern Niveau stagniert. An dieser generellen Tendenz haben auch die landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekte nichts Wesentliches geändert.
Wenn auch der Prozeß der Umverteilung von kleinbäuerlichem Mehrprodukt zugunsten der Agrarbourgeoisie nicht unmittelbar durchschaubar ist, weil verschleiert durch die Mittlerfunktion von ADMARC, so wird doch der offensichtliche Reichtum der kleinen Gruppe Privilegierter mit wachsendem Mißtrauen beobachtet. Insbesondere erleben aber immer mehr Bauernfamilien die wachsende Konkurrenz zu den Großplantagen um das rapide knapper werdende Land. Obwohl die Mehrheit der im Plantagenboom neu angesiedelten großen ‚estates‘ in kaum besiedelte Gebieten entstand, so verhindern sie doch in zunehmendem Maße die infolge wachsender Bevölkerung und nachlassender Fruchtbarkeit der Böden notwendige Ausdehnung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Dasich die Plantagen ihrerseits flächenmäßig ausdehnen — u.a. auch wegen des großen Brennholzbedarfs beim Trocknen des Tabaks — , verstärkt sich die Konkurrenz um die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in bestimmten Distrikten soweit, daß sie schon bald zum politischen Zündstoff werden kann.
Verschärft wird die Situation durch die größer werdende Zahl von Großbauern und in der Landwirtschaft engagierten Angehörigen der städtischen Mittelschichten, die sich mit wachsender Landknappheit ihre Bodennutzungsrechte durch staatliche Pachtverträge anstelle des traditionellen Bodenrechts absichern.
Die Politik zur Entwicklung kapitalistischer Großplantagen im Eigentum einer künstlich geschaffenen Agrarbourgeoisie ist auch in sich widersprüchlich und führte unter den gegebenen Bedingungen zur massenhaften Vernichtung von Kapital. Die überstürzte Gründung einer großen Zahl neuer Plantagen im formellen Eigentum der Angehörigen der politisch-administrativen Elite, die kein eigenes Kapital aufbringen konnte, führte angesichts fehlender Voraussetzungen zum ökonomischen und politischen Fiasko. Die Infrastruktur ist vor allem im Norden Malawis immer noch unzureichend. Niedrige Löhne, unzumutbare Arbeits- und Lebensbedingungen und mangelhafte Ausbildung der Plantagenarbeiter führten zu hoher Fluktuation und niedriger Arbeitsproduktivität. Schon nach wenigen Jahren machten daher viele dieser Plantagen Bankrott. Knappe nationale Ressourcen an Land und Akkumulationsmitteln wurden auf diese Weise vergeudet. Die Idee einer durch absolutistisches Dekret zu kreierenden nationalen Bourgeoisie ist weitgehend gescheitert. Damit scheiterte aber auch die Verbreitung und Stabilisierung der politischen Basis des Bandaregimes, denn die ökonomische Macht im Staate blieb auf eine Handvoll ‚erfolgreicher‘ Großkapitalisten beschränkt.
Das malawische Modell der kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft führt aber auch auf der anderen Seite, d.h. bei der Entwicklung der kleinbäuerlichen Produktion, zu Widersprüchen. Die Flächenkonkurrenz mit den Plantagen und der zunehmenden Zahl von Großbauern hat bei den kleinen Bauern zur Folge, daß sich die landwirtschaftlich nutzbare Fläche pro Familie durch Aufteilung unter eine wachsende Zahl von Familienangehörigen soweit verkleinert, daß sie nicht mehr die ganze Familie ernähren kann; damit sind die nachkommenden Generationen gezwungen, sich als Lohnarbeiter entweder auf den Plantagen oder in den Städten zu verdingen.
Des weiteren verhindert die Abschöpfung des kleinbäuerlichen Mehrprodukts durch ADMARC und seine Verwendung im Plantagensektor die Entwicklung der Produktivkräfte in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, weil sowohl der ökonomische Anreiz zur Produktion von mehr verkaufbaren Produkten als auch die finanziellen Mittel zur Verbesserung der Produktionsmittel und -methoden fehlen. Die Hektarerträge haben sich daher im kleinbäuerlichen Sektor kaum erhöht. Das hohe Maß der Abschöpfung untergräbt also langfristig ihre eigene Basis.
Niedrige Produktivität und hohe Abschöpfung von Mehrprodukt bedingen ein geringes Geldeinkommen der Kleinbauern. Ihre zahlungskräftige Nachfrage nach industriellen Waren ist damit reduziert. Der Markt für lokal produzierbare Konsumgüter und Produktionsmittel bleibt beschränkt. Während die Entwicklung des inneren Marktes stagniert, wird das in den Plantagensektor umverteilte Mehrprodukt der Kleinbauern für Importwaren wie z.B. Traktoren, Lastwagen, Benzin und Kunstdünger verwandt. Die Begrenztheit des inneren Marktes behindert die Entwicklung der lokalen Industrie, die sich in Malawi, zumindest kurzfristig, nicht auf Basis von Rohstoffen, sondern nur als landwirtschaftsbezogene Verarbeitungs- und Produktionsmittel- / Konsumgüterindustrie entwickeln kann. Die aus dem kleinbäuerlichen Sektorvertriebenen Arbeitskräfte haben damit aber auch eine geringe Chance, industrielle Arbeitsplätze zu finden. Offene und verdeckte Arbeitslosigkeit und Arbeitsemigration werden notwendigerweise zunehmen.
Die jüngste Krise in der Entwicklung der Großplantagen hat dazu geführt, daß in diesem Sektor keine zusätzlichen Landarbeiter beschäftigt werden, die Beschäftigtenzahl z.T. sogar absolut abnahm, was die Situation auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärft.
Die Zuspitzung der politischen Widersprüche
Die Entwicklung der polit-ökonomischen Verhältnisse in Malawi verweist auf eine brisante Zuspitzung der Widersprüche zwischen und innerhalb der Klassen der malawischen Gesellschaft. Während die Kluft zwischen der kleinen Gruppe potenter Agrarkapitalisten und der Masse von Kleinbauern und Landarbeitern zunimmt, verschärfen sich auch die Widersprüche innerhalb der Klassen. Die Politik der künstlichen Schaffung einer malawischen Agrarbourgeoisie größeren Umfanges ist gescheitert. Sie führte nicht zu einer Stabilisierung der politischen Macht des Präsidenten und seiner unmittelbaren Umgebung, sondern hinterließ eine Schicht ‚enteigneter‘, deklassierter Bourgeois, die sehr leicht zu einer rivalisierenden Opposition zur herrschenden Clique werden kann. Verstärkt wurde dies durch Bandas Politik der systematischen Deklassierung von Ministern, hohen Beamten und Managern. wann immer sie politisch größeren Einfluß erlangten.
Innerhalb der Bauernschaft verschärft sich der Widerspruch zwischen den kleinen, noch weitgehend von Subsistenzproduktion lebenden Bauern und einer wachsenden Zahl prosperierender Kleinkapitalisten.
Präsident Banda hat, vor allem durch sein Ansehen als nationaler Befreier und Führer und gestüzt durch Geheimpolizei, Junge Pioniere und eine geschickte ‚Mbumba-Politik‘, es verstanden, als nationale Integrationsfigur zu wirken und zu verhindern, daß die wachsenden gesellschaftlichen Widersprüche politisch offen ausbrechen.
Drei Ereignisse in Malawi im Zusammenhang mit dem ‚Autounfall‘, bei denen im Mai 1983 drei Minister und ein Parlamentsabgeordneter umkamen, zeigen jedoch, daß sich die politischen Auseinandersetzungen, zumindest zwischen den rivalisierenden Fraktionen der Bourgeoisie, zuspitzen. Der Tod des über 80jährigen Präsidenten ist schließlich jederzeit möglich.
Es gibt verschiedentlich Vermutungen, daß Präsident Banda angesichts seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes die Amtsgeschäfte niederlegen und Malawi verlassen wollte, bevor die sich verschärfenden Diadochenkämpfe im Untergrund ihm selbst gefährlich werden. Die von Banda beabsichtigte Einsetzung desZentralbankgouverneurs John Tembo zum (zunächst vorübergehenden) Nachfolger stieß jedoch auf den Widerstand eben jener Minister, die wenige Tage später bei dem ‚Autounfall‘ zu Tode kamen.
Zwei der drei Minister, Matenje und Gadama, gehörten zu den wenigen sich noch im Amt befindlichen Politikern in Malawi, die seit vielen Jahren wichtige politische Ämter bekleideten (Matenje war zuletzt Generalsekretär der Malawi Congress Party) und über einevergleichsweise große Popularität in der Bevölkerung verfügten, die dem designierten Nachfolger gänzlich fehlt. Tembos ‚Machtbasis‘ gründet sich auf sein Verwandtschaftsverhältnis zu Frau Kadzamira, der sog. ‚Official Government Hostess‘ und Vertrauten Bandas.
Die durch den Tod der Minister weiter verschärfte und in die malawische Öffentlichkeit gebrachte innenpolitische Krise hat zunächst den problemlosen ‚Abgang‘ Bandas und die Einsetzung Tembos als Nachfolger verhindert. Doch mit der Beseitigung der `gemäßigten‘, populären Politiker schwand die letzte Chance zu einem Bündnis zwischen den Diadochen, das allein eine politisch durchsetzungsfähige Regierung hätte garantieren können. Ein solches Bündnis wäre entsprechend den Regelungen der Verfassung in Form eines ‚Presidential Council‘ unter dem Vorsitz des Generalsekretärs der Malawi Congress Party entstanden, wenn Banda keinen Nachfolger benannt hätte.
Mit dem sich abzeichnenden Nachfolger Tembo, der nicht nur von Banda gefördert wird, sondern offenbar auch innerhalb des malawischen Machtapparates über ausreichende Unterstützung verfügt, würde ein Mann an die Macht kommen, der als zweitreichster Mann des Landes — neben dem Präsidenten selbst — nicht nur bei der breiten Öffentlichkeit verhaßt ist, sondern auch die ungeteilte Mißgunst der politischen und wirtschaftlichen Rivalen zu befürchten hat. Er würde seine Herrschaft nur durch die brutale Unterdrückung der zu erwartenden Opposition in den verschiedenen Lagern sichern können. Die Haltung von Militär, Polizei und Jungen Pionieren wird in einer derartigen Situation entscheidend sein.
Die besondere Rolle, die Malawi im Südlichen Afrika als Brückenkopf westlicher und südafrikanischer Interessen in Schwarzafrika spielt, bedingt es, daß in dieserzugespitzten Situation Länder wie die USA, die Bundesrepublik, Großbritannien und Südafrika versuchen, die politische Entwicklung dahingehend zu beeinflussen, daß Malawi auch in Zukunft seine besondere Rolle spielt. So gibt die Regierung der USA Malawi seit 1980 Militärhilfe, vor allem in Form von Ausbildungshilfe f ür Offiziere, da sie die malawische Armee f Ur eine »potentiell stabilisierende Kraft im Lande« hält153. Die politische Funktion dieser Hilfe wird deutlich ausgesprochen: »Es ist im nationalen Interesse der USA, Beziehungen zu malawischen Offizieren zu fördern, die in Zukunft eine Schlüsselposition in der malawischen Gesellschaft einnehmen werden.«154
Den USA geht es dabei vor allem um die Absicherung der »soliden antikommunistischen Außenpolitik« Malawis. Nach Angaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums soll die Militärhilfe an Malawi weiter ausgebaut werden. Auch die Bundesrepublik beteiligt sich an der Ausrüstung und Ausbildung des malawischen Militärs. Die malawische Luftwaffe ist mit Dornier-Flugzeugen ausgerüstet155, deren Piloten von deutschem Personal ausgebildet werden.
Um die nicht weniger wichtigen Jungen Pioniere, diez.T. besser alsdie Armee ausgerüstet sind, ‚kümmern‘ sich die Israelis und vor allem die Südafrikaner, die auch hier vorrangig in der Offiziersausbildung tätig sind.
Die entscheidende Frage für die Zukunft Malawis ist angesichts dieser Situation, ob sich, nachdem die politisch gefährlichen Rivalen Tembos ausgeschaltet sind, eine organisatorische Opposition gegen Tembo entwickeln kann, die stark genug ist, sich gegen einen z.T. auch von außen unterstützten und ideologisch beeinflußten Unterdrückungsapparat zu behaupten. Noch gibt es sichtbar keine organisatorische Kraft innerhalb des Landes, die das leisten könnte. Viel wird daher davon abhängen, inwieweit die heute von den Nachbarländern aus operierenden Oppositionsgruppen bereits im Lande verankert sind (wie sie behaupten) bzw. eine oppositionelle Bewegung in Malawi organisieren können, wenn sich die Diadochenkämpfe nach dem bald zu erwartenden Tod oder Abgang Bandas weiter zuspitzen.