Rolle des Staates

Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der Landwirtschaft

Die Untersuchung des Prozesses der Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft zeigte auf, daß er in hohem Maße von Eingriffen durch den Staat, z.T. vermittelt über halbstaatliche Institutionen oder die Person des Präsidenten, bestimmt ist:

  • die kleinbäuerliche Warenproduktion für den inneren und äußeren Markt wurde durch integrierte Landwirtschaftsprojekte und systematische politische Propaganda forciert,
  • ein erheblicher Teil des kleinbäuerlichen Mehrproduktes wird von der halbstaatlichen Vermarktungsorganistion ADMARC abgeschöpft und für den Aufbau von Industrie und Großplantagen verwandt,
  • die privaten Plantagen des Präsidenten werden in der Propaganda zu Modellen einer modernen Entwicklung in der Landwirtschaft stilisiert,
  • für die Entwicklung kapitalistischer Plantagenbetriebe werden günstige Rahmenbedingungen geschaffen:
    • Vergabe von Bankkrediten ohne die üblichen Sicherheiten und zu günstigen Zinsbedingungen,
    • Vergabe von Pachtland durch den Präsidenten, niedrige Pachtraten,
    • Regulierung der Wanderarbeit entsprechend dem Bedarf der Plantagen an Lohnarbeitern,
    • Drückung der Landarbeiterlöhne,
    • Förderung eines halbstaatlichen Plantagensektors über ADMARC und Press (Holdings),
    • öffentliche Finanzierung und Beteiligungen an privaten Großplantagen (Beispiel Lonrho).

Zur Schaffung der Voraussetzungen der Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse in der Landwirtschaft werden also staatliche, d.h. außerökonomische Mittel angewandt. Die prominente Rolle des Staates und halbstaatlicher Institutionen in zentralen Bereichen der malawischen Ökonomie scheint zunächst im Widerspruch zu stehen zur expliziten Politik der Regierung, eine kapitalistische Entwicklung anzustreben, die auf die Privatinitiative setzt und dem Markt die Regulierung der gesellschaftlichen Produktion überläßt.

Doch die “Einmischung des Staates in die ökonomische Entwicklung ist Ausdruck der Un- terentwickeltheit des Kapitalverhältnisses in Malawi. Die Beschäftigung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in der Landwirtschaft, die noch ganz wesentlich von der Subsistenzproduktion geprägt ist, bedeutet, daß sich das Kapitalverhältnis erst noch gegenüber diesen ‘vorkapitalistischen’ Produktionsformen durchsetzen muß« 102. »Solange das Kapital schwach ist, sucht es selbst noch nach den Krücken vergangener oder mit seinem Erscheinen vergehender Produktionsweisen.« 103

Das Kapital entstand in Malawi allerdings nicht urwüchsig aus der Entwicklung und Umwälzung seiner traditionellen Produktionsweise, sondern im Ergebnis der Kolonisation durch das kapitalistisch hochentwickelte England104. Bei seiner Entwicklung in der malawischen Gesellschaft greift es daher nicht zurück auf die ‘Krücken’ der traditionellen afrikanischen Produktionsweise, die die materiellen Bedingungen für die Herausbildung des Kapitals aufgrund des geringen Entwicklungsstandes der Produktivkräfte noch gar nicht geschaffen hatte, sondern entleiht sich diese ‘Krücken’ den vorkapitalistischen Produktionsweisen Europas (in deren Schoße sich das Kapital historisch entwickelte). Es ist daher kein Zufall, daß die heutige Entwicklungspolitik Malawis in gewisser Hinsicht der Wirt- schaftspolitik des europäischen Absolutismus ähnelt.

Präsident Banda selbst hat sich Friedrich II. zum Vorbild genommen: »Banda hält seine Landsleute zu harter Arbeit an. Das Wort Disziplin ist ein Schlüsselwort in seinem Vokabular. Er sieht sich als Preuße in Afrika.« 105

Franz Mehring schreibt über die ökonomischen Funktionen des preußischen Staates, in dem die kapitalistische Produktionsweise im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch sehr unterentwickelt war: »…waren die unersättlichen Geldbedürfnisse des Despotismus, seine wachsende Steuerwucht und seine wachsenden Staatsschulden, auch seine Monopol-, Privilegien- und Protektionswirtschaft, nicht zu vergessen die ungezählten Millionen, die die großen Despoten durch den Massenverkauf ihrer Landeskinder an die Kriege des Auslandes lösten, zu Hebeln der kapitalistischen Produktionsweise geworden, der die drakonische Ausrottung des blauen Montags, die summarische Verkürzung der kirchlichen Feiertage, das menschliche Material lieferte, um Muskel und Nerv in heckenden Mehrwert zu verwandeln.« 106 Die Merkmale treffen in geringfügiger Abwandlung auch für die malawische Entwicklungspolitik zu. Übertragen auf die malawischen Verhältnisse entsprechen dabei

  • die ‘Steuerwucht’ der preußischen Despoten der kolonialen Hüttensteuer ebenso wie den heutigen Steuern und vor allem der massiven indirekten ‘Besteuerung‘ der bäuerlichen Warenproduzenten durch ADMARC, durch die Kleinbauern zur Produktion von Cash crops oder zur Lohnarbeit gezwungen werden;
  • die ‘Staatsschulden’ der wachsenden Verschuldung des malawischen Staates und der staatlich kontrollierten Banken zum Zwecke der Finanzierung kapitalistischer Plantagen, Industrien und Repräsentationsbauten der politischen Elite;
  • die ‘Monopolwirtschaft‘ dem Monopol der halbstaatlichen Vermarktungsgesellschaft ADMARC beim Handel mit den Agrarprodukten der Kleinbauern, dem Monopol des Press-Konzerns beim Großhandel in ländlichen Gebieten, dem Monopol vieler Industrieunternehmen, die jeweils einen ganzen Produktionszweig beherrschen;
  • die ‘Privilegienwirtschaft’ der Bevorzugung der politisch-administrativen Elite bei der Vergabe von Plantagenland und günstigen Krediten;
  • der ‘Massenverkauf ihrer Landeskinder an die Kriege des Auslandes’ dem Verschicken malawischer Wanderarbeiter in die Minen und auf die Plantagen Südafrikas und Zimbabwes;
  • die ‘Proletarisierung der Bauern’ in Preußen der Proletarisierung der Kleinbauern in Malawi, die durch Ausplünderung und wachsende Landverknappung zur Lohnarbeit gezwungen werden;
  • die ‘Ausrottung des blauen Montags und die Verkürzung der kirchlichen Feiertage’ der Zerstörung traditioneller Arbeits- und Lebensformen durch die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen und in den Industrien.

Wie im alten Preußen wird im heutigen Malawi die »beschleunigte Entwicklung des Kapitals… nicht auf dem sogenannten naturgemäßen Weg, sondern durch staatliche Zwangs- mittel« 107 erreicht 108. Die beschleunigte Entwicklung ist dabei ganz im Interesse der kapitalistischen Metropolen, die sie mit der sog. Entwicklungshilfe fördern, denn Malawi wird als Lieferant von landwirtschaftlichen Rohstoffen und als Abnehmer industrieller Produkte für sie erst dann richtig interessant, wenn ein entwickeltes Kapitalverhältnis in den relevanten Sphären der Wirtschaft nicht nur die Massenproduktion von Rohstoffen ermöglicht, sondern auch die Herausbildung einer nationalen Bourgeoisie, die politisch Malawis Integration in den den Weltmarkt garantiert.

Entwicklung einer ‘effizienten’ Regierungsbürokratie

Die beschleunigte Entwicklung des Kapitals durch staatliche Zwangsmittel prägt auch Form und Umfang der staatlichen Bürokratie. Bedingung einer erfolgreichen Förderung und Gängelung der ökonomischen Entwicklung ist eine ‘funktionierende’ Verwaltung. »Alles läuft auf Effizienz hinaus — das ist das Wichtigste an Malawi. Und wenn der Preis dafür ein Diktator an der Spitze ist, dann ist es die Sache wert.« 109 Die Durchführung von Landwirtschaftsprogrammen z.B. erfordert mehr als nur die Setzung rechtlicher Rahmenbedingungen der landwirtschaftlichen Produktion: umfassende staatliche Investitionen in die Infrastruktur, Ausbildung, Beschäftigung und Betreuung eines Heeres von landwirtschaftlichen Beratern, die übers ganze Land verteilt sind, Planung und Management der integrierten Landwirtschaftsprojekte. In den halbstaatlichen Unternehmen wie ADMARC erweitert sich die Bürokratie in anderer Organisationsform, um direkt in den Produktions- und Verteilungsprozeß einzugreifen. Wie im absolutistischen Preußen schafft hier »eine selbstsichere Bürokratie stellvertretend für eine erst keimhaft vorhandene Bourgeoisie … die Voraussetzungen einer kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung« 110.

Die Kennzeichen des preußischen Beamtenstaates wie Regelhaftigkeit und Personenunabhängigkeit in der Amtsführung, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Gehorsam und abstrakte Rationalität treffen daher auch in einem für afrikanische Verhältnisse sehr großen Maße auf die malawische Bürokratie zu. Das dafür nötige Personal wurde durch langjährige Erfahrung in der britischen Kolonialverwaltung, die in Njassaland schon früh von den Missionen ausgebildete Afrikaner in ihren Dienst nahm, konditioniert. Auch schuf die historische Erfahrung der Wanderarbeit in Südafrika und Rhodesien die noch heute für Malawier typische ‘yes baas’-Haltung111, die sie nicht nur zu loyalen Untertanen, sondern auch zu gehorsamen Staatsdienern macht.

Das politische System Malawis – der ‘Bandaismus’

Die besonderen Bedingungen der ökonomischen Entwicklung Malawis, die Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse vor dem Hintergrund einer kleinbäuerlichen, stark von der Subsistenzwirtschaft geprägten Volkswirtschaft, die Weltmarktabhängigkeit und die Entwicklungshilfe kapitalistischer Länder, prägen das politische System Malawis. Das autokratische Regime des Präsidenten Banda ist die Form, in der die kleine Klasse der Agrarbourgeoisie im Bündnis mit einer politisch-administrativen Elite, die in den halbstaatlichen Unternehmen und in der Regierungsverwaltung gedeiht, über die große Masse der kleinen Bauern und eine wachsende Zahl von Lohnarbeitern in Landwirtschaft und Industrie herrscht.

Jeder Malawier muß die Parteikarte der Einheitspartei MCP (Malawi Congress Party) kaufen Kwacha = „Der Tag bricht an“ Khadi la Umembala = Mitgliedskarte, Chopereka K 1.00 = Beitrag 1 Kwache (ca.DM 2,50)

„Junge Pioniere“ der Einheitspartei in Malawi-Hauptstütze von Präsident Kamuzu
Banda, Foto © mwnation.com

Dr. Hastings Kamuzu Banda regiert Malawi seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1964. Seit 1971 ist er Präsident auf Lebenszeit und kontrolliert, trotz seines hohen Alters von über 80 Jahren, die Regierungsgeschäfte noch bis ins Detail. Minister werden von ihm bestellt und haben praktisch keinen eigenen politischen Entscheidungsspielraum. Banda selbst hält die Portfolios für das Innen- und Außenressort, Justiz, Landwirtschaft, Bau und Versorgung und Verteidigung.

Das Parlament hat keinen Einfluß auf die wichtigsten Fragen der Innen und Außenpolitik, sondern fungiert als Forum zuröffentlichen Lobpreisung der ‚weisen und vorausschauenden Führung des Präsidenten’ und als Petitionsausschuß in lokalpolitischen Fragen. Dr. Banda beliebt »kraft eigener Autorität Verfügungen zu treffen, so daß demokratische und rechtsstaatliche Institutionen zur Farce werden« . »…von demokratischen Willensbil- dungs- und Entscheidungsprozessen (kann) nicht die Rede sein,« 112

Leitlinie der Propaganda der Malawi Congress Partei sind die sog. ‚vier Eckpfeiler’: Einheit, Loyalität, Disziplin und Gehorsam, die zu allererst auf die Disziplinierung der Bevölkerung zielen und sie politisch völligentmündigen. Die Disziplinierung der Bevölkerung wird begleitet von ständigen Appellen an die Bauern, auf ihren Feldern hart zu arbeiten, um ihrem Führer bei der Entwicklung des Landes zu helfen. Der Präsident, verklärt durch Beinamen wie ‚Ngwazi‘ (Held) (in Regierungskreisen wird von ihm als ‘His Excel lency‘ oder abgekürzt als ‘H.E.’ gesprochen), ist der allein Verantwortliche für jegliche Entwicklung und jeden Fortschritt in Mala wie »Jedermann weiß, daß die Entwicklung ausschließlich dem Präsidenten auf Lebenszeit geschuldet ist«, postulierte das traditionelle Gericht, das den Minister der Südregion Gwanda Chakwamba zu 22 Jahren verurteilte, weil er sich für einen eigenen Beitrag zur Entwicklung loben ließ 113.

Das autokratische Regime Bandas trägt durchaus Züge einer afrikanischen Form des Absolutismus. Wie der europäische Absolutismus ist er geprägt vom Umbruch sozio- ökonomischer Verhältnisse: dem Verfall der traditionellen Produktions- und Sozialstrukturen und der Herausbildung einer nationalen Bourgeoisie in Konkurrenz zur nachkolonialen ausländischen Bourgeoisie. Das Regime ist durch eine maximale politische Zentralisierung und die uneingeschränkte Entscheidungsgewalt des Präsidenten charakterisiert. Der ‘Bandaismus’ ist eine im Interesse der aufstrebenden nationalen Bourgeoisie ausgeübte Diktatur, ohne daß Vertreter dieser Bourgeoisie an der Regierungsgewalt beteiligt wären. Wohl und Wehe der z.T. erst kürzlich geschaffenen malawischen Bourgeoisie sind vielmehr abhängig vom Wohlwollen des Präsidenten, der von heute auf morgen Politiker und Staatsdiener entlassen und damit auch ihrer ökonomischen Privilegien berauben kann 114. So ist es nicht zufällig, daß Präsident Banda ein großer Verehrer des Preußenkönigs Friedrich des II. und besonders beeindruckt von preußischer Zucht und Ordnung und dem preußischen Beamtenstaat ist 115.

Der Aufstieg Dr. Bandas zur Alleinherrschaft

Dr. Banda konnte seine unangefochtene Führungsstellung erringen, nachdem er sich 1964, kurz nach dem Erreichen der Unabhängigkeit während der sog. Kabinettskrise, gegenüber der Mehrheit seiner Minister durchsetzte, die eine schnellere Afrikanisierung der Regierungsverwaltung und eine freie Gesundheitsversorgung forderten und für eine größere politische Distanz zu Südafrika und die damals noch portugiesischen Kolonien eintraten, von denen Malawi ökonomisch und infrastrukturell stark abhängig war und ist.
Sechs Minister wurden entlassen und mußten ins Ausland fliehen. Hunderte von Sympathisanten der entlassenen Minister wurden verhaftet oder ins Exil getrieben.

Banda konnte sich in dieser Auseinandersetzung auf die vielen noch im Lande verbliebenen englischen Kolonialbeamten und auf die englisch geführte Armee und Polizei stützen. Für den einfachen Bauern waren außerdem die politischen Differenzen, die der Auseinandersetzung zugrunde lagen, unmittelbar nur von geringer Bedeutung. So konnte Banda sein Ansehen als ‘Ngwazi’, der die Föderation mit Südrhodesien zerstört und die Unabhängigkeit von England erkämpft hatte, nutzen, um politisch gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Anfang 1965 versuchte Chipembere, einer der entlassenen Minister, in seinem Heimatdistrikt Mangochi einen Aufstand, der aber von Regierungstruppen niedergeschlagen wurde. Es folgte die erste große Verhaftungswelle von vermeintlichen und wirklichen Anhängern der ‘Rebellen’, wie Banda die Exilminister nannte. Todesurteile wurden vollstreckt.

Zugleich erließ Banda die ‘Public Security Regulations’, eine Art Vorbeugehaftgesetz, nach dem Mißliebige ohne Anklage und Urteil festgenommen und interniert werden konnten. Bis 1977 waren in Malawi bis 2.000 politische Gefangene ohne Anklage und Urteil in Haft. Viele von ihnen wurden freigelassen, nachdem der damalige Innenminister Mwalo und der Chef der Geheimpolizei, die für zahlreiche Willkürmaßnahmen verantwortlich gemacht wurden, verurteilt und gehängt worden waren116.
»Bei der Verfolgung politischer Gegner stützt sich Bandabesondersauf die jungen Pioniere, die Jugendorganisation der Einheitspartei, die als persönliches Einsatzkommando des Präsidenten größere Kompetenzen erhalten (hat) als die Polizei.«11? Die Geheimpolizei und ein dichtes Netz von Spitzeln sorgen dafür, daß es zu keiner organisierten Opposition innerhalb Malawis kommt. Presse und Rundfunk stehen unter der Kontrolle des Präsidenten und Informationen über die innenpolitische Entwicklung dringen nur über ‘Umwege’ nach außen.

Die Entwicklung der politischen Widersprüche im heutigen Malawi

Die »immer unkontrollierteren Formen polizeistaatlicher Willkür« des Bandaregimes sind nun nicht nur Ergebnis eines »unerwartet großen Machtinstinkts«118 des Präsidenten, sondern die besondere politische Ausprägung der Anwendung der ‘staatlichen Zwangsmittel’ bei der beschleunigten Entwicklung des Kapitals in Malawi. Diese Entwicklung ist gekennzeichnet durch die systematische Bereicherung einer kleinen Gruppe malawischer Agrarkapitalisten und das ungehinderte Agieren des ausländischen Kapitals auf Kosten der Masse der Kleinbauern und der Arbeiter in Landwirtschaft und Industrie.

Der latent vorhandene Widerstand gegen Banda findet sich jedoch weniger bei der Masse der kleinen Bauern, denen es nicht nur an dem nötigen politischen Bewußtsein fehlt, sondern die u.a. auch durch die Politik der Landwirtschaftsentwicklung und die entsprechende  Propaganda von Partei und Regierung zu loyalen Untertanen erzogen wurden und werden.

Die politische Opposition innerhalb Malawis kommt vielmehr von Teilen der städtischen Mittelschichten und von politischen Rivalen. Die städtischen Mittelschichten —  einfache Regierungsbeamte, Lehrer, Intellektuelle, Angestellte in Industrie und privater Verwaltung — lehnen aufgrund ihrer Bildung und z.T. beeinflußt durch Studienaufenthalte im Ausland den Despotismus Bandas mit all seinen ‘Irrationalitäten’ ab und wünschen allgemein eine Demokratisierung politischer Entscheidungen, insbesondere ihre eigene Partizipation am politischen Geschehen. Sie sind zum großen Teil die erste ‘städtische Generation’, die ihre Jugend noch im Dorf verbrachte und deren Eltern oft noch immer unter einfachsten Verhältnissen als kleine Bauern leben. Der Vergleich dieser Verhältnisse, denen sie noch so nahe sind, mit der Korruptheit der politisch-administrativen Elite, die sie leichter durchschauen können als die Bauern in der Dörfern, bildet bei vielen von ihnen die Grundlage für eine latente Opposition.

Opposition gegen Banda kommt aber auch von politischen Rivalen, die an den Quellen des Reichtums der herrschenden Clique partizipieren wollen. Zu ihnen gehört der ehemalige Innenminister Mwalo, der 1977 wegen angeblichen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde. Das Ausmaß von Bandas Angst vor möglichen Rivalen zeigt sich auch darin, daß er konsequent jeden Politiker, der größeren Einfluß, womöglich noch gestützt auf Popularität in der Bevölkerung, erlangt, seines Amtes enthebt, ins Gefängnis bringt oder sogar beseitigen läßt. Allein in den letzten Jahren geschah dies mit:

  • Aleke Banda, ehemals Minister und später Manager des Press-Konzerns, heute unter Hausarrest;
  • Gwanda Chakwamba, ehemals Minister für Jugend und Kultur und zugleich Minister der Südregion, 1981 zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt wegen ‘Anstiftung zum Umsturz’;
  • Muluzi, ehemaliger Generalsekretär der Partei, 1982 ohne Begründung abgesetzt, heute ohne Funktion;
  • Dick Matenje, der Nachfolger von Muluzi als Generalsekretär der Partei, Aaron Gada- ma, Minister der Zentralregion, Sangala, Gesundheitsminister und Chiwanga, Parlamentsabgeordneter, kamen im Mai 1983 bei einem mysteriösen ‘Autounfall’ zu Tode.

Neben der latenten und noch unorganisierten Opposition innerhalb des Landes gibt es eine Reihe oppositioneller Gruppen im Exil, in denen sich u.a. die vertriebenen Minister, Politiker und Intellektuellen nach 1964 organisierten. Es sind dies die Sozialistische Liga Ma- tawis (LESOMA), die Malawische Freiheitsbewegung(MAFREMO) des ehemaligen Justizministers Orton Chirwa und der Kongreß für die Zweite Republik (CSR) des ehemaligen Außenministers  Kanyama Chiume.

Nach den erfolglosen Versuchen von Chipembere und Chisiza, das Regime Bandas mit militärischer Gewalt zu stürzen, war die vom Ausland aus operierende Oppositionsbewegung für viele Jahre demoralisiert und gespalten. Die Gründung der LESOMA 1975 mar- kierte den Neubeginn einer organisierten politischen Opposition sowohl innerhalb wie außerhalb Malawis.
Das politische Programm von LESOMA sieht als unmittelbare Ziele:

  • die Ablösung der Diktatur Bandas durch eine demokratische Regierung,
  • die Garantie freier Wahlen und der Rede- und Versammlungsfreiheit,
  • die Beendigung der Abhängigkeit Malawis vom ausländischen Kapital,
  • den Aufbau wahrhaft nationaler staatlicher Betriebe in den Schlüsselzweigen und
  • die genossenschaftliche Organisation der Kleinbauern und des ländlichen Kleingewerbes.

Langfristig geht es LESOMA darum, den Weg zum Sozialismus vorzubereiten. Zur Erreichung dieser Ziele strebt LESOMA an, eine breite Front aller demokratischen, antiimperialistischen und fortschrittlichen Kräfte zu organisieren.
LESOMA hat in den letzten Jahren in Malawi im Untergrund arbeitende Zellen aufgebaut, in denen nach ihren Angaben 15 000 Malawier organisiert sind. Diese Zahl erscheint reichlich hoch, und es ist schwierig, den Einfluß LESOMAs innerhalb des Landes genauer abzuschätzen , da jegliche offene Parteiarbeit unmöglich ist. 1981, nachdem LESOMA die Gründung einer militärischen Abteilung angekündigt hatte, tauchten in Malawi in größerem Umfang Flugblätter und Pamphlete der Partei auf, und eine ganze Reihe von LESOMA- Leuten wurde interniert, ohne daß die malawische Regierung Zahlen oder Namen genannt hätte.

In jedem Fall stellt LESOMA eine wesentliche Bedrohung für Präsident Banda dar, was indirekt an den immer wiederkehrenden Appellen an die Wachsamkeit der Bevölkerung gegenüber ’subversiven Elementen’ zum Ausdruck kommt, die sich explizit gegen LESOMA richten. Banda verfolgt die Führer von LESOMA selbst außerhalb des Landes. 1979 rühmte sich Banda, gegen den Vorsitzenden Attati Mpakati einen erfolgreichen Anschlag mit einer Briefbombe verübt zu haben, bei dem Mpakati die Finger beider Hände verlor. Im März 1983 wurde Mpakati in Harare von unbekannten Tätern, vermutlich malawischen Sicherheitsbeamten, ermordet. LESOMA hatte seit der Unabhängigkeit Zimbabwes offensichtlich mit Erfolg begonnen, dort lebende Malawier — sie werden auf mehrere hunderttausend geschätzt — zu werben und zu organisieren. Angeblich soll es in Zimbabwe inzwischen 250 LESOMA-Zellen geben.

Das Attentat an Mpakati ist sicher u.a. auch im Zusammenhang mit dem sich ausdehnenden Einfluß von LESOMA zu sehen. Viele Führer von LESOMA wurden in sozialistischen Ländern ausgebildet. Mpakati z.B. studierte in der UdSSR Ökonomie. Mitglieder von LESOMA erhalten Stipendien von sozialistischen Ländern, doch eine direkte materielle oder finanzielle Unterstützung erhält LESOMA von diesen Ländern nach eigenen Angaben nicht. In England hat sich 1979 auf Initiative von Mitgliedern der Labour Party und der Gewerkschaften ein ’Unterstützungsko- mitee für Malawi’ gebildet, das auch LESOMA politisch unterstützt.

Sowohl die Malawische Freiheitsbewegung (MAFREMO) als auch der Kongreß für die Zweite Republik (CSR), die beide 1976 gegründet wurden, sind in gewisserWeise eine Reaktion auf die zuvor erfolgte Gründung von LESOMA. Beide Organisationen sind vor allem Ausdruck der Führungsansprüche ihrer Vorsitzenden Orton Chirwa und Kanyama Chiu- me innerhalb der malawischen Oppositionsbewegung, den sie innerhalb der sozialistisch orientierten LESOMA nicht wahrnehmen wollten oder konnten. Beide sind eher kleine Organisationen, von denen lediglich MAFREMO einen gewissen Einfluß innerhalb Malawis ausübt.

Der in England ausgebildete Orton Chirwa gehört zur alten Garde malawischer Politiker. Er gründete 1959 die Malawi Congress Party, als Dr. Banda in Gefangenschaft der englischen Kolonialregierung war. Er gehörte dem ersten Kabinett der Regierung Banda als Justizminister  an und verließ Malawi nach der Kabinettskrise zusammen mit den anderen Ministern, die ins Exil fliehen mußten.

Die Ziele von MAFREMO sind, die Diktatur Bandas zu stürzen und in Malawi ‘Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit’ wiederherzustellen. Sie will alle Gruppen der malawischen Gesellschaft vereinen, um den Entwicklungsprozeß des Landes zu erleichtern. Bewaffnete Guerillaaktionen lehnt sie im Gegensatz zu LESOMA grundsätzlich ab. Auch MAFREMO erklärt, daß sie Mitglieder in Malawi hat, die im Untergrund arbeiten.

Im Dezember 1981 wurde Orton Chirwa, zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn, im Grenzgebiet zwischen Malawi und Sambia von der malawischen Polizei verhaftet. Bis heute ist nicht geklärt, ob sie von sambischem Boden nach Malawi entführt wurden oder ob Chirwa in eine Falle gelockt wurde119.

Während des elfmonatigen Prozesses, über den die malawische Presse in ungewöhnlicher Ausführlichkeit berichtete, gab es immer wieder offene Sympathieäußerungen für die Chirwas von malawischen Jugendlichen, die zu hunderten den öffentlich stattfindenden Prozeß besuchten. Viele von ihnen wurden deshalb von der Polizei verhaftet und interniert. Im Mai 1983 verurteilte das Gericht Chirwa und seine Frau, die als Schatzmeisterin der Führung von MAFREMO angehört, wegen Hochverrats zum Tode. Ihnen wurde vorgeworfen, den Sturz der Regierung und die Ermordung des Präsidenten geplant zu haben. Die Chirwas haben Berufung gegen das Urteil eingelegt. Im Juli 1984 wurde es vom Präsidenten persönlich in lebenslängliche Haft umgewandelt.
Der Kongreß für die Zweite Republik (CSR) des Kanyama Chiume hat, soweit bekannt, praktisch keinen Einfluß innerhalb Malawis. Im März 1982 und im März 1984 wurde berichtet, daß sich Mitglieder der in Zimbabwe operierenden Sektion des CSR der LESOMA angeschlossen haben, weil sie mit der Politik Chiumes unzufrieden waren. Chiume wird von den anderen Oppositionsgruppen vorgeworfen, wesentlich zur Spaltung der alten Garde der malawischen Opposition, insbesondere zwischen Chipembere und Chisiza, beigetragen zu haben.

LESOMA als politische Organisation und Orton Chirwa als Politikerpersönlichkeit mit immer noch großem Ansehen in Malawi sind also die Kräfte, die nach Bandas Tod oder Abtritt von der politischen Bühne die Auseinandersetzung um die Macht und die zukünftige politische Entwicklung mit beeinflussen werden120. Im Moment jedoch haben Banda und seine Sicherheitsorgane noch weitgehende Kontrolle über die von außen nach Malawi hineinwirkenden Einflüsse.

Die Frauenpolitik – Dr. Bandas spezielle Methode zur Sicherung seiner Herrschaft

Bei all dem schwelenden Widerstand in Malawi und organisierter Opposition aus dem Ausland darf man jedoch nicht übersehen, daß Präsident Banda bis in die jüngste Zeit bei einem Großteil der malawischen Bevölkerung Unterstützung fand, wenn auch das Todes- urteil für die Chirwas und die Ermordung der drei Minister im Mai 1983 Bandas Stellung zum ersten Mal in größerem Maße erschüttert zu haben scheinen.

Die Unterstützung für Banda erklärt z.T. auch die Masse von uniformierten Frauen, die ihrem Präsidenten zujubeln, wo immer er sich in der malawischen Öffentlichkeit sehen läßt. Diese von Partei und Regierung wohl organisierte und aus der Staatskasse reichlich finanzierte ‚Show’ ist jedoch nicht die spontane Begeisterung der Massen für ihren Führer, auf die sich die westlichen Freunde der Regierung Banda gern berufen, wenn sie Malawi als Muster-Entwicklungsland preisen, sondern Ergebnis einer sehr raffinierten Methode des Präsidenten zur Umfunktionierung traditioneller Bräuche der malawischen Gesellschaft in Mittel der Herrschaftssicherung.

Diese Methode ist bekannt als ‚Mbumba-Politik‘ und funktioniert so:
Die immer noch starke Prägung der malawischen Gesellschaft durch Formen der Subsistenzwirtschaft bedingt das Fortbestehen traditioneller Formen des sozialen und politischen Lebens. Der Großteil des landwirtschaftlichen Bodens ist nicht Privateigentum im westlichen Sinne, sondern Stammeseigentum und wird von den Häuptlingen an die Mitglieder des Stammes vergeben. Ganz besonders lebendig sind traditionelle Formen des sozialen Lebens in der malawischen Familie121, ihren internen Beziehungen und Bräuchen. Zu ihnen gehört die ‚Institution’ des sog. ’Nkoswe’.

Der Nkoswe ist die Vertrauensperson, an die sich die Frau (in diesem Verhältnis ‘Mbumba’ genannt) wendet, wenn sie Probleme mit ihrem Mann oder der Familie hat. Meist ist das der Bruder oder der Onkel mütterlicherseits. Präsident Banda hat sich nun die Rolle des Nkoswe der Nation (’Nkoswe number one’), des universellen Beschützers aller Frauen, gegeben. In dieser Rolle erhebt er den Anspruch, sich in besonderer Weise um die Rechte und Belange der Frauen zu kümmern. In geschickter weise knüpft er damit auch an die wichtige Rolle an, die die Frauen in der traditionellen afrikanischen Agrargesellschaft spielten und auch heute noch spielen (und von der noch Reste mutterrechtlicher Verhältnisse im Süden Malawis zeugen), die jedoch durch die Wirkungen der kolonialen Herrschaft in vielfältiger Weise eingeschränkt wurde. Banda, als Nkoswe ’seiner‘ Mbumba, gibt vor, ihnen ihren traditionellen Status zurückzugeben. Dies geschieht jedoch in einer sehr eigenartigen Form: als Ausdruck seiner ‚besonderen Fürsorge’ ließ er z.B. zwischen 1977 und 1981 in allen Distrikthauptstädten Häuser für Funktionärinnen der Frauenliga der Malawi Congress Party bauen. Für malawische Verhältnisse haben diese Häuser, großzügig gebaut und mit Stromanschluß, den Standard von Luxusvillen. Bezahlt wurden sie, wie immer betont wird, aus der Privatkasse des Präsidenten. Woher sich diese füllt, wurde schon eingehender beschrieben.

Massenveranstaltung mit Frauen der Womens Leage anläßlich der ‘Jugendwoche’ in Lilongwe 1978

Größere Breitenwirksamkeit haben Aktionen wie die Einladungen von hunderten von Frauen (Mitgliedern der Frauenliga) in den Palast des Präsidenten in Blantyre, wo sie dann von ‚ihrem‘ Nkoswe verköstigt und beschenkt werden. Nach den letzten Parlamentswahlen wiederum nutzte er seine präsidiale Macht zur Ernennung von Parlamentsabgeordneten dazu, zusätzlich zu den hundert gewählten, überwiegend männlichen Abgeordneten, 24 weibliche Abgeordnete (für jeden Distrikt eine) zu ernennen, um das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen zu kompensieren. Die Frauen erwiesen sich seither als die besten Lobredner für den Präsidenten.

Die andere Seite der Mbumba-Politik Bandas sind die Massenveranstaltungen aus Anlaß von Staatsfeiern, Reisen des Präsidenten oder anderen Gelegenheiten, die die Form grandioser ’Danksagungsfeste’ der Mbumbas für ihren Nkoswe annehmen. Zu traditioneller Musik tanzen dort eine Vielzahl von Frauengruppen aus allen Teilen der jeweils umliegenden Distrikte, aus denen sie mit Lastwagen herangeschafft werden, und singen Lobesund Verherrlichungslieder auf den ’Ngwazi’ (den starken Führer). Auch hier werden traditionelle Bräuche des Tanzes, der Musik und der Feste aufgegriffen (die Melodien zu den Lobeshymnen sind oft von alten bekannten Volksliedern übernommen) und zu Manifestationen der Loyalitätsbekundung umfunktioniert und pervertiert. Die Frauen tragen bei diesen Veranstaltungen nicht ihre traditionelle, bunte und abwechslungsreiche Kleidung, sondern eine Partei uniform, die mit den staatlichen Symbolen Malawis, vor allem aber mit dem Konterfei des Präsidenten geschmückt ist.
Mit der ‚Mbumba-Politik‘ greift also auch die politische Herrschaft, solange sie noch schwach ist und sich nicht auf die Klasse stützen kann, deren Entwicklung sie zum Ziel hat, zu den ideologischen und kulturellen ‚Krücken‘ vergangener und mit ihrem Erscheinen vergehender Herrschaftsformen.


Banda ist allgegenwärtig: Das Konterfei des Präsidenten schmückt die Kleidung der Frauen