Vorwort zur digitalen Neuauflage 2023

Die Untersuchung Malawi – ein entwicklungspolitisches Musterland erschien 1984 unter dem Pseudonym Michael Martin, weil der Autor Gerhard Gross zu diesem Zeitpunkt in Malawi noch als ehemaliger Mitarbeiter des deutschen Entwicklungshilfeprojektes Ländliche Versorgungszentren Malawi bekannt war. Dieses Projekt lief noch bis 1988 und sollte durch diese kritische Publikation nicht gefährdet werden.

Viele Beobachtungen und Einschätzungen der Untersuchung beruhen auf direkten Erfahrungen, die der Autor in dem Entwicklungshilfeprojekt in den Jahren 1978 – 1981 machen konnte, gleichwohl wurde auf direkte Bezüge verzichtet.

Die Untersuchung betrachtet die sozio-ökonomische Entwicklung Malawis in der Ära des Diktators Hastings Band von der Unabhängigkeit 1964 bis Anfang der 1980er Jahre. Diese Ära ist inzwischen Geschichte und in den 40 Jahren seither hat sich viel verändert in diesem Land: Banda wurde 1993 in einem friedlichen Referendum abgesetzt nachdem zuvor Bischöfe unter der Führung von James Chiona politische Reformen gefordert hatten. 1994 kam es zu den ersten freien Wahlen in Malawi, in denen Bakili Muluzi von der United Democratic Front (UDF) zum Präsidenten gewählt wurde. 2004 wurde er von Bingu wa Mutharika abgelöst.

Entscheidend für die Überwindung von Bandas Diktatur war aber der Druck internationaler Gebernationen und -organisationen, die ihre Zahlungen einstellten, um das Regime zum Rückzug zu drängen.

Auch Malawis Armee spielte eine wichtige Rolle, als sie 1993 in der Operation Bwezani die Young Pioneers entwaffnete und damit Bandas Schutztruppe außer Gefecht setzte.

Die Bevölkerung hat sich von 7 Mio. 1983 auf über 20 Mio. 2022 fast verdreifacht. Vor allem die Städte sind explosiv gewachsen. So war die Hauptstadt Lilongwe Anfang der 80 Jahre noch eine beschauliche Provinzstadt mit rund 150.000 Einwohnern und zählt heute knapp 1,3 Mio.

Sehr wenig hat sich allerdings in den ländlichen Regionen Malawis verändert: die Landbevölkerung lebt noch immer weitgehend von Subsistenzwirtschaft, Anbauprodukte sind nach wie vor Mais, Erdnüsse und verschiedene Sorten Bohnen – siehe hierzu sehr umfassend und immer aktuell den Malawi Economic Monitor der Weltbank.

Die Tabakproduktion allerdings hat stark abgenommen aufgrund einer rückläufige Nachfrage auf den internationalen Märkten in Folge von Anti-Raucher Campagnien, die von der WHO forciert werden. Die Tabakproduktion leistete 2011 noch mit über 800 Mia. Kwacha den größten Beitrag zum Deviseneinkommen des Landes. 2022 war sie auf 150 Mia. Kwacha dramatisch eingebrochen.

Malawi ist aber immer wieder für Überraschungen gut: bei Reisen durch das Land 2018 und 2019 staunte der Autor über einen regelrechten Fahrradboom, vor allem in den kleineren Städten entlang des Malawisees, im Norden und den flacheren Regionen des Südens. Es scheint, als könnte das Land nun immerhin auf dem Feld nachhaltiger Mobilität zum Musterland avancieren.

Hauptstraße in der Provinzstadt Salima in der Zentralregion, 2019